Betrachtungen zum Thüringer Fußballwochenende von Ralf Brückner (Freies Wort)
JENA/SCHMALKALDEN — Das Oberliga-Spitzenspiel am Freitagabend zwischen CarI Zeiss Jena und Dynamo Dresden bot zwar spielerisch
eher Durchschnittskost, dafür aber einen grandiosen Rahmen. Man mag sich darüber streiten, ob der irrwitzige Aufwand an
Sicherheitskräften, den solche Partien inzwischen verlangen, der öffentlichen Hand überhaupt noch zugemutet werden kann.
Doch die Atmosphäre im Ernst-Abbe-Sportfeld musste jeden echten Fußballfreund begeistern. Wann hat man schon mal das Glück,
ein solches Stadion restlos gefüllt zu erleben? Und als dann kurz vor dem Anpfiff die bekannte Fußballhymne
"You never walk alone" (Ihr seid niemals allein auf eurem Weg) und der 96er EM-Song "Football is coming home"
abgespielt und abgesungen wurden, konnte einem selbst als neutralen Beobachter ein eiskalter Schauer den Rücken runterlaufen.
Letzteres war beim samstäglichen Süd-Bezirksderby der Landesliga — immerhin nur eine Klasse tiefer angesiedelt — zwischen dem
FSV Schmalkalden und dem 1. Suhler. SV 06 schon deshalb nicht möglich, weil der FSV erstmals in diesem Jahr im Stadion am Walperloh
spielte und nicht "oben" auf dem zugigen Kunstrasen. Denn dort läuft es einem wenigstens aus meteorologischen Gründen
öfter mal eiskalt den Rücken runter.
Anders gesagt: Trotz zweier lautstarker Fanclub-Grüppchen auf beiden Seiten war von stimmungsvoller Derby-Atmosphäre kaum was zu
spüren. Bei 220 Zuschauern wohl auch kaum möglich, obwohl das immer noch wesentlich mehr waren, als sonst beide Vereine bei ihren
Heimspielen haben.
Dem entsprachen beiderseitige Besetzungs-Erstaunlichkeiten: FSV-Coach Grohmann experimentierte mit Plötner in der Defensive und
Suhls Trainer R. Müller konnte es sich sogar leisten, in diesem "Kampf um die Nr. 1 Südthüringens" mit Herrmann einen
seiner wichtigsten Kreativspieler erst mal draußen zu lassen, um ihn dadurch zu mehr Trainingsfleiß zu zwingen.
Es kann nicht bestritten werden, dass beide Mannschaften ihre enormen Besetzungssorgen mit viel Kampf und Einsatz wert machten.
Aber das allein reicht noch nicht für mitreißenden Fußball. Schiedsrichter Kluck, der am Ostermontag das Landesliga-Topspiel
zwischen Erfurt-Nord und Pößneck vor gerade mal 300 Zuschauern geleitet hatte, brachte es äuf den Punkt: "In der Landesliga
ist nicht viel los ~ Da geht‘s derzeit in der Landesklasse West ganz anders zu."
Kunststück: Thüringens höchster Spielklasse fehlt es nun schon im zweiten Jahr an jener Brisanz im Meisterschaftskampf, der
die Zuschauer auf die Plätze locken und damit auch eine echte "Szene" entstehen lassen könnte. Wie sollte das auch gehen,
wenn selbst der dominierende VfB 09 Pößneck ob des Aufstieges Bauchschmerzen hat — weniger sportlich, denn wirtschaftlich!
Die Motivation, in der Tabelle nach oben zu gucken, hält sich mithin für den Rest des Feldes in engen Grenzen und dadurch
geht der Landesliga jene Hochspannung, die jeweils eine Klasse weiter oben bzw. unten im Übermaß vorhanden ist, derzeit völlig ab.
Ist das nun zufällig und vorübergehend oder ein Resultat nicht mehr stimmiger Strukturen?
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